Petra Seibert | Blog

Petra Seibert

Kunst und Kurse

Die Macht der Atmosphären (Gebundene Ausgabe)

von Barbara Wolf und Christian Julmi (Herausgeber/in)

  • Verlag Karl Alber
  • 1. Auflage 2020
  • Gebunden
  • 480 Seiten
  • ISBN: 978-3-495-49162-1
  • Bestellnummer: P491621
  • Preis: 49,00 €

Petra Seibert, bildende Künstlerin

Wie kommt die Atmosphäre in die Atmosphäre?       

Das neue dreiteilige Wahrnehmungsmodell Logos-Auge-Leib als Leitfaden

S. 418 – 444 inkl. schwarz-weiss Abb. und Grafiken zu meinem Vortrag 2018 beim Symposion der Gesellschaft für neue Phänomenologie in Rostock „Die Macht der Atmosphären“ 

Atmosphäre entsteht immer und überall, ob wir etwas tun oder lassen, ob draußen in der Landschaft oder drinnen im Raum. Sie wird über Gegenstände (Kleidung, Möbel, Kunst Architektur) visuell aufgeladen und hängt in der Luft als Geruch, Geräusch oder Spannung. Unzählige kleine Ausstrahlungen auch jene, die von lebendigen Akteuren ausgehen, führen zu einer deutlich spürbaren Atmosphäre. Was wir da spüren, äußert sich als Gefühl, das Sprache nur unzureichend beschreiben kann. Die Atmosphäre greift, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, durch Einleibung auf uns über.[1] Das Spüren der Atmosphäre ist die erste unbewusste gesamtheitliche Information, die uns aus der Umgebung zu Teil wird und ist damit sehr wichtig und machtvoll. Sie entscheidet darüber, ob wir uns wohl fühlen oder nicht, ob wir bleiben oder gehen. Da wir mit unserem Tun oder Nicht-Tun immer etwas bewusst oder unbewusst zur Atmosphäre beitragen, liegt die Frage auf der Hand – wie kommt die Atmosphäre in die Atmosphäre? Schließlich wollen wir alle in einer guten Atmosphäre leben, sei es in unserer Wohnung, deren Umgebung, am Arbeitsplatz oder in der Gesellschaft. Wie können wir also den richtigen Beitrag leisten, so dass die gewünschte Atmosphäre entsteht?

Wenn Hermann Schmitz Atmosphäre analysiert, tut er dies von einem rein leiblichen Standpunkt aus und das ist auch richtig, denn das Spüren der Atmosphäre ist eine Spezialfähigkeit des Leibes. Leiblich gesehen ist die Atmosphäre bereits das im Raum schwebende Gefühl, das uns ergreift, also von außen auf uns übergeht. Was uns da ergreift kann beeindruckend angenehm aber auch abstoßend unangenehm sein. Niemand will aber bewusst eine unangenehme Atmosphäre erzeugen, dennoch entsteht sie zum Beispiel in der industriellen Landwirtschaft, wo etwas aus dem Ruder gelaufen zu sein scheint, im Gesundheitswesen, wo wir uns trotz engagierter Ärzte in der von Geräten dominierten Medizin häufig allein gelassen fühlen, aber auch in unseren Städten und Dörfern, wo beziehungslose Gebäude den Gesamteindruck stören. Was ist dort passiert?

Weil die menschlichen Beiträge zur Atmosphäre von drei sehr verschiedenen Wahrnehmungsarten herrühren, so meine These, reicht es eben nicht, sich nur den leiblichen Anteil genau anzusehen. Im Kunstunterricht besonders beim Zeichnen tritt Wahrnehmungsverhalten so klar wie sonst nirgends zutage, denn weder Zweck noch Maschine verstellen die Sicht. Dort entdeckte ich, dass es drei sehr unterschiedliche Arten sind, wie wir einerseits die Welt wahrnehmen und andererseits sie gestalten. Aus diesen Entdeckungen entwickelte ich über zehn Jahre hinweg ein dreiteiliges Wahrnehmungsmodell, das von Laien leicht zu verstehen ist und Orientierung im bis dahin unübersichtlichen Wahrnehmungs- und Gestaltungsgeschehen gibt.[2]

Diese drei Modi – Logos, Autonomes Auge und Leib – besitzt jeder sehende Mensch unabhängig von Begabung. Allein die Werkzeuge (Worte, Bilder, Gefühle) sorgen für eine komplett andere Wahrnehmung, weshalb wir für Atmosphären durchaus unterschiedlich….

[1] Hermann Schmitz: Der Leib, Berlin 2011, S. 29.

[2] Petra Seibert: Logos, Auge, Leib, 2019, Husum, Abb.01 S.24